Gießhübel 1918 bis 1945

Berichter:
Alois Kossek, Postoberschaffner, geboren am 3. Juni 1901 in Gießhübel im Adlergebirge.
Wohnort daselbst bis zur Vertreibung meiner Familie am 1. Juni 1945

Ich berichte über den Marktflecken Gießhübel im Adlergebirge. Gießhübel gehörte von 1918 bis zum 10. Oktober 1938 zum politischen Bezirk Neustadt an der Mettau. (Okres Nove Mesto nad Metuje), Kreis Königgrätz, vom 10. Oktober 1938 bis Mai 1945 zum politischen Bezirk Rokitnitz, Kreis Grulich.

Ich war von 1924 bis 1933 Schriftführer in der freiwilligen Feuerwehr, im Vorstand der Ortsgruppe des Bundes der Deutschen und Bezirksleiter der Sudetendeutschen Partei. Vom Mai 1938 gehörte ich der Gemeindevertretung als Ratsmitglied und als 2. Bürgermeister an.

Ende Oktober 1918 wurde Gießhübel durch 70 Mann tschechischer Wehrmacht besetzt, und da sich der ehemalige Bürgermeister weigerte, die Schlüssel der Gemeindestube den Tschechen auszuhändigen, wurde dieselbe mit Gewalt geöffnet und die tschechische Fahne gehisst. Der tschechische Terror begann mit Haussuchungen nach Waffen bei der gebildeten Heimwehr. Der Versuch, die dem Fürsten Colloredo von Mansfeld gehörigen Wälder längs der Grenze zu verstaatlichen, scheiterte daran, dass der Besitzer inzwischen französischer Staatsbürger geworden war.

Im Jahre 1919 begann der Narodni Vybor (Nationalausschuss) in Neustadt tschechische Gewerbetreibende nach Gießhübel zu bringen. Ein tschechisches Gasthaus wurde errichtet, und der Pächter desselben durfte sein Bier nur von Tschechen beziehen, obwohl sein Nachbar die alt eingesessene Brauerei Migula war. Der Besitzer der damaligen Weberei Soumar verlangte von seinen Arbeitern, dass sie ihre Kinder in die inzwischen errichtete tschechische Minderheiten- Schulklasse schicken, und da die meisten dieses Ansinnen ablehnten, kam es zu einigen Entlassungen.

Schon in den Jahren vor dem 1. Weltkriege war das obere Adlergebirge als Notstandsgebiet erklärt worden. Da Gießhübel im Westen von der tschechischen Sprachgrenze, im Norden und teilweise Osten vom deutschen Reich, im Süden durch die übrigen armen Gebirgsdörfer begrenzt war, suchten und fanden ein Großteil der Einwohner bis 1918 Arbeit und Verdienst im Altreich. Durch die Eingliederung in die Tschechei verloren alle ihren Arbeitsplatz in Deutschland, und es begann die große Abwanderung nach Gablonz und Reichenberg. Hatte unser Ort um 1900 noch fast 2000 Einwohner, so waren es bei der Volkszählung 1939 nur noch 1287.

Die im Jahre 1921 durchgeführte Volkszählung ergab im politischen Bezirk Neustadt a. d. M., dass der deutsche Anteil der Bevölkerung nur 19,9 % betrug. Da die Zählkommissare nur Tschechen waren, ist es ersichtlich, dass dieser Prozentsatz durch Machenschaften der Zähler künstlich geschaffen wurde. Einen Beweis ihrer Eintragungen der Nationalität waren die Fälle Herzlik und Seidel. Herzlik, ein Schmiedemeister, seit seiner Jugend in Gießhübel wohnhaft, hatte bei seiner Befragung nach seiner Volkszugehörigkeit sich mit seiner ganzen Familie als Deutsche bekannt. Er selbst entstammte einer tschechischen Familie, seine Frau jedoch aus einer rein deutschen.

Da ihm Bedenken wegen der Richtigkeit der Eintragung von Seiten der Zählkommissare kamen, erschien Herzlik mit seinem großen Schmiedehammer im Gemeindeamt und verlangte, dass der Bürgermeister seine Angaben in der Liste überprüfe. Die Kommissare wollten Schwierigkeiten machen, doch durch einen Schlag seines Hammers auf den Tisch gaben sie nach, und es stellte sich heraus, dass die gesamte Familie als Tschechen eingetragen waren. Jetzt erst wurde Herzlik renitent, und man musste die Volkszugehörigkeit auf deutsch abändern. Herr Seidel, der gleichfalls eine Überprüfung verlangte, war mit seiner Familie auch als Tscheche geführt. Auch dieser Fall musste geändert werden.

Da wir Deutschen keine 20 % der Bevölkerung ausmachten, mussten die Firmentafeln der deutschen Gasthäuser zuerst den tschechischen, und an 2. Stelle erst den deutschen Text tragen. Sämtliche Zuschriften des Gerichtes und des Steueramtes kamen nur in tschechisch. Jede Eingabe an diese Ämter musste in tschechisch erfolgen.

Gießhübel besaß vor 1818 sechs Volksschulklassen und drei Bürgerschulklassen. Im Schuljahr 1919/1920 musste die Gemeinde im Auftrag des Landesschulrates vom 16. Juni Zahl IA-56409 Räumlichkeiten und Einrichtungsstücke für eine tschechische Minderheitsklasse beistellen. Es wurde ein Lehrzimmer in der Volksschule abgetreten. Mit Erlass des Präsidiums des Landesschulrates vom 31. Oktober 1919, Zahl 1812, auf Grund des § 9 des Gesetzes vom 3. April 1919 Nr. 189 wurde die Auflassung von zwei Volksschulklassen verfügt, worauf die Volksschule nur noch vierklassig war.

Mit Beginn des Schuljahres 1920/1921 wurde an der hiesigen tschechischen Minderheitsschule eine zweite Klasse eröffnet. Der Raum und die erforderlichen Einrichtungsgegenstände wurden seitens der Behörde in der Volksschule beschlagnahmt. Die dagegen erhobene Berufung wurde abgewiesen. Das beginnende Schuljahr 1922/1923 brachte der Volksschule einen neuerlichen Verlust. Durch Erkenntnis des Landschulrates in Prag vom 1. Juli 1922, Zahl 13531, wurde mit Wirkung zum 1. September 1922 die vierte Klasse der Volksschule aufgelassen. Es verblieben nur noch drei Volksschulklassen.

Durch die Zusammenlegung der Schuljahre wuchs der Schülerstand der dritten Klasse auf 65 an. Mit Rücksicht darauf wurde unter Berufung auf das „Kleine Schulgesetz“ vom 13. Juni 1922 beim Vorsitzenden der Bezirksschulbehörde in Senftenberg und beim Präsidenten des Landesschulrates in Prag vorgesprochen und um Wiedereröffnung der vierten Klasse gebeten, wobei auf die Unmöglichkeit der Unterbringung in den zur Verfügung stehenden Räumen, gegeben durch die Beschlagnahme für die tschechische Minderheitsschule hingewiesen wurde. Doch wurde das Ansuchen abgelehnt. Mit Erlass vom 21. August 1924, Zahl 2142, wurde die dritte Klasse mit der zweiten Klasse zusammengezogen, so dass am 19. September 1924 von den sechs Volksschulklassen nur noch zwei Klassen bestanden. Nach längeren Bemühungen wurde dann erreicht, dass durch Erlass des Landesschulrates in Prag vom 29. April 1927, Zahl IA 2507-4, mit Wirkung zum 1. Juni 1927 die dritte Klasse wieder eröffnet werden konnte. Diese drei Klassen umfassen die ersten fünf Schuljahre und mit dem sechsten Schuljahr treten Jungen und Mädchen in die Bürgerschule über. Dieser Zustand dauerte bis 1938.

Am 1. September 1927 errichtete die Gemeinde durch namhafte Unterstützung des Deutschen Kulturverbandes einen Kindergarten. Schon in den ersten Jahren wurde derselbe von über 30 Kindern besucht. Für die Unterhaltung wurden keinerlei staatliche Mittel bewilligt. Die Kindergärtnerin musste durch die Gemeinde und den Deutschen Kulturverband bezahlt werden, jedoch für 6 tschechische Kinder wurde ein staatlicher Kindergarten mit einer staatlich besoldeten Kindergärtnerin errichtet.

Da die Tschechen durch Bereitstellen von Lehrmitteln, Schulbüchern, Heften, durch Weihnachtsbescherung der Schüler und durch Suppenausgabe versuchten, deutsche Kinder für den inzwischen gebauten tschechischen Schulpalast zu gewinnen, sahen sich auch die Deutschen gezwungen, unsere ärmsten Schüler, um eine Abwanderung in die tschechische Schule zu unterbinden, zu unterstützen. Es wurde mit Hilfe der deutschen Landeskommission für Kinderschutz und Jugendfürsorge in Reichenberg die Schulküche eingerichtet. Das Essen wurde in Abwechslung von hilfsbereiten Frauen gekocht.

Zu Weihnachten wurden arme Schulkinder mit neuen Schuhen und Kleidungsstücken beschert. Auch erhielt jedes Kind, ohne Unterschied, einen Striezel. Die Schuhe wurde von den hiesigen deutschen Schuhmachern angefertigt, Mädchenkleider und Wäsche von Frauenhänden unentgeltlich genäht. An arme Schüler wurden Hefte, Bücher und Zeichenbedarf unentgeltlich ausgegeben. Verabreichte Hefte und Zeichenerfordernisse betrugen im Schuljahr 1924/1925 über 50 kg.

Alles dieses war nur möglich durch Unterstützung des deutschen Kulturverbandes, des Bundes der Deutschen, des hiesigen deutschen Theater-Dilettanten-Vereines, welcher in der Regel fast jeden Reinertrag seiner Aufführungen diesem Zweck zuführte, sowie private Spenden. Unsere Gewerbetreibenden hatten vereinbart, auf die Ausgabe von Abreißkalendern zu Neujahr an ihre Kundschaft zu verzichten und den Gegenwert in Geld an die Schule abzuführen. Nach 1933 unterstütze der Volksbund der Deutschen im Ausland vom aus Altreich illegal unsere Schulbedürfnisse.

Von der tschechischen Steuerverwaltung wurde durch willkürliche Vorschreibung der Umsatzsteuer und anderer Steuerschikanen versucht, das Gewerbe und den Handel zu schädigen. Das Steueramt in Neustadt bediente sich dabei der tschechischen Zollbeamten als Spitzel. In den 2 bestehenden Webereien Soumar und Semerak verdiente ein Weber 60 bis 70 tschechische Kronen wöchentlich. Da dieses zu wenig zum Leben war, musste Heimarbeit gemacht werden. Hauptsächlich war es Netzen und Ausnähen von Filet-Arbeiten. Gezahlt wurde für 1000 Loch netzen ½ Krone, für ausnähen von 1000 Loch 60 bis 70 Heller. Eine gute Netzerin schaffte es bei 12 bis14stündiger Arbeit im Tag auf 10 000 Loch, also einen Verdienst von 5 bis 6 Kronen. In den Wintermonaten verdienten sich auch Männer durch diese Heimarbeit einen kargen Verdienst.

Als im Jahre 1933 die DNSAP (Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei) und die deutsche Gewerkschaft aufgelöst wurden, unsere Arbeiter fast ausnahmslos in der deutschen Gewerkschaft organisiert waren, wurde die Not besonders groß, denn die Arbeitslosen erhielten damals nur die sogenannte Cech-Karte im Werte von 10 Kronen wöchentlich an Unterstützung. Hier war es wiederum der Volksbund der Deutschen im Ausland aus dem Altreich, der Deutsche Kulturverband, sowie der Bund der Deutschen, die helfend eingriffen, um die ärgste Not der Wintermonate zu lindern.

Als in den Jahren 1936 bis 1938 die tschechischen Befestigungen gebaut wurden, hoffte so mancher Arbeitslose, die sehr gut bezahlte Arbeit zu bekommen. Jedoch wurden für diese Arbeit nur Tschechen eingestellt, und so mancher tschechische Bauer aus den umliegenden Dörfern holte sich eine billige Arbeitskraft für seinen Hof aus der Slowakei, während er sich der gut bezahlten Arbeit an den Befestigungen zuwandte.

Dem seit dem Jahre 1898 bestehenden Turnverein wurde im Zuge der Auflösung der DNSAP 1933 die Ausübung der Vereinstätigkeit verboten. 1934 wurde die Aufnahme der Vereinstätigkeit wieder gestattet, jedoch mit der Einschränkung, dass die ehemaligen Vorstandsmitglieder Hofmann, Schindler und Kossek nicht mehr dem Vorstand angehören dürfen. Am Turnfest 1938 beteiligten sich 30 Mitglieder unseres Turnvereins. Um die Anreise nach Breslau zu erschweren, verbot die politische Behörde in Neustadt den Grenzübertritt in Kuttel. Der nächste reichsdeutsche Bahnhof war Hummelstadt, 6 km von Gießhübel entfernt, und wir mussten bis Nachod, 18 km weit, und von da nach Halberstadt bei Braunau, denn hier war der Grenzübertritt bestimmt.

Auch die freiwillige Feuerwehr sollte ihren seit 1900 bestehenden Vereinsstempel, der lautete „Freiwillige Feuerwehr Gießhübel, Bez.. Neustadt a. d. Mettau“ in „Freiwillige Feuerwehr Gießhübel, Okr. Nove Mesto“ ändern. Derselbe wurde jedoch in der Fassung „Freiwillige Feuerwehr, Gießhübel im Adlergebirge“ neu angeschafft.

Schon vor 1900 hatten tschechische Pfarrer (Hanusek) versucht, in den Taufmatriken die deutschen Namen zu vertschechisieren. Um diesem Treiben entgegenzutreten, wurden bei Taufen die Taufpaten aufgefordert, bei der Eintragung in die Taufmatrik auf die richtige Namenseintragung zu achten.

Der letzte deutsche, sich noch im Dienst befindliche Briefträger wurde vorzeitig pensioniert, so dass der Postdienst nur von tschechischen Angestellten durchgeführt wurde. Da sich im Jahre 1921 der noch Dienst tuende Gendarmerie-Wachtmeister Landgraf weigerte, anlässlich des Bezirks-Feuerwehrfestes in Gießhübel am Festplatz die gehisste schwarz-rot-goldene Fahne niederzuholen, wurde auch dieser letzte deutsche Gendarm pensioniert und der Posten, bestehend aus 2 Mann, waren nur noch Tschechen. Waren die Zollbeamten schon vor 1918 zum Großteil Tschechen, so wurde auch hier gesäubert, so dass der Zolleinnehmer und die übrigen 6 Zollbeamten bis 1938 nur Tschechen waren. Hauptsächlich die Zollbeamten bespitzelten das deutsche Vereinswesen und versuchten über den Narodny Vybor, dessen Vorsitzender ein Kommissar der politischen Bezirksbehörde war, diesen Schwierigkeiten zu bereiten.

1928 setzte sich die Gemeindevertretung aus folgenden Parteien zusammen:
    8 der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei,
    5 Christlich-Soziale,
    3 der Deutschen Gewerbepartei und
    4 Tschechen.
1932 blieb im wesentlichen diese Zusammensetzung bestehen. In diesen Perioden stellte bis 1933 die Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei den Bürgermeister. Infolge der gesetzlichen Auflösung der DNSAP und deren Verbot im Jahre 1933 traten die Gemeindevertreter dieser Partei geschlossen der Sudetendeutschen Partei bei. Den Bürgermeister stellte von 1933 bis Oktober 1938 der Bund der Landwirte. Im Frühjahr 1938 lösten sich die deutschen Christsozialen, der Bund der Landwirte und die Deutsche Gewerbepartei auf und traten zur Sudetendeutschen Partei über. Nach den Neuwahlen im Mai 1938 zogen 21 Vertreter der Sudetendeutschen Partei und nur noch 3 Tschechen in die Gemeindestube ein.

Da je vier Gemeindevertreter ein Ratsmitglied stellten, verloren hier die Tschechen ihren Sitz im Rat. Ich führte vor der Maiwahl als Wahlbevollmächtigter der S.D.P. (Sudetendeutsche Partei) mit den Tschechen die Wahlverhandlung. Die Tschechen forderten von den 24 Sitzen in der Gemeindestube 4 Vertreter. Ich stellte ihnen nach gründlicher Prüfung der Wählerlisten nur 3 zur Verfügung, und das Wahlergebnis gab mir recht. Die vorangegangenen Wahlen waren durch Kauf deutscher Stimmen und durch Drohung mit Arbeitsentlassung durch tschechische Arbeitgeber zu Gunsten der Tschechen (4 Gemeindevertreter) beeinflusst gewesen.

Die öffentliche Maifeier am 1. Mai 1938 war für die Gemeinde ein machtvolles Bekenntnis zum Deutschtum, denn mit nur wenigen Ausnahmen beteiligte sich die gesamte Bevölkerung des Ortes am Aufmarsch. In den Maitagen 1938 wurde die Grenze gegen das Altreich durch Maschinengewehrnester und herbeigezogene Truppen von den Tschechen gesichert. Die durch den Ort führenden Brücken wurden zur Sprengung hergerichtet und die Gendarmerie wurde auf 20 Mann verstärkt. Im September 1938 wurden deutsche Reservisten im Zuge der Mobilmachung einberufen. Der Großteil derselben flüchtete jedoch über die Grenze in das Altreich und trat dort in das Sudetendeutsche Freikorps ein.

Auch Einberufene der Nachbargemeinden kamen mit ihren Fahrrädern nach Gießhübel, warfen diese in den Straßengraben und gingen über die Grenze. Ein in der Nähe der Grenze wohnender Bauer sammelte die fortgeworfenen Räder ein und bewahrte dieselben auf. Eine ganze tschechische Maschinengewehrabteilung ging mit ihren Waffen in deutsche Gefangenschaft. Als in den Septembertagen 1938 die S.D.P. aufgelöst wurde, musste auch ich, um der Verhaftung zu entgehen – ich wurde durch einen slowakischen Gendarmen gewarnt – über die Grenze in das Altreich flüchten und ging da in das Sudetendeutsche Freikorps.

In diesen Tagen wurden bei den Deutschen des Ortes die Rundfunkgeräte beschlagnahmt und im Postamt sichergestellt. Einigen Bewohnern gelang es, ihre Geräte der Beschlagnahme zu entziehen, und im Keller des Bräuhauses wurde eine Abhörstelle eingerichtet. Frauen und Kinder der über die Grenze geflüchteten Männer gingen nachts ins Altreich und wurden durch die N.S.V. (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) in das Reichsinnere gebracht.

Am 10. Oktober 1938 überschritten deutsche Truppen beim Gasthaus „Hasler“, von der zurückgebliebenen Bevölkerung jubelnd begrüßt, die Grenze und nahmen Gießhübel in deutschen Besitz. Auf dem Marktplatz fand die Übergabe zwischen einem deutschen Offizier und dem tschechischen politischen Kommissar statt.


Einmarsch der deutschen Truppen 1938, Grenze bei Kuttel


 Deutsche und tschechische Truppen 1938 in Kuttel

Einige Tage zuvor hatten schon die ortsansässigen Tschechen, sowie die Gendarmerie und der Zoll den Ort verlassen. Aus der tschechischen Schule wurde das Inventar mitgenommen, die Fensterscheiben eingeschlagen und die Schulräume durch Tschechen in der gemeinsten Weise verunreinigt. Das Inventar der Schule musste später, da es sich um eine staatliche Schule handelte, wieder zurückgebracht werden. Auch die Einrichtungsgegenstände im tschechischen Hotel wurden von den Tschechen abtransportiert. Einige Tschechen blieben im Orte, und da sie sich vor dem Einmarsch loyal gegenüber den Deutschen verhalten hatten, wurden ihnen jetzt keinerlei Schwierigkeiten gemacht, im Gegenteil, ein von einem Tschechen betriebenes Papiergeschäft und eine Schmiede wurden belassen.

Die Zusammensetzung der Vertreter der Gemeindestube blieb, bis auf den Bürgermeister, den jetzt die neu gebildete N.S.D.A.P (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) stellte, und dem Wegfall der Tschechen, dieselbe. Die Gemeindeordnung wurde auf die reichsdeutsche umgestellt. Die landwirtschaftlichen Artikel, jetzt infolge des deutschen Hinterlandes, erzielten bessere Absatzmöglichkeiten und Preise, die Löhne in der Heimarbeit stiegen an und auch der Umsatz nahm zu. Die beiden größeren Textilbetriebe, früher in tschechischem Besitz, wurden durch Kauf in deutschen Besitz überführt, und auch hier gab es jetzt für die Arbeiter höhere Löhne. Auch die kleineren Hauswebereien erlebten eine Belebung und bessere Bezahlung ihrer Arbeit.

Durch den Anschluss an das Reich kam unsere Gemeinde zum Kreis Grulich, Rgbz. Troppau. Verkehrstechnisch wurde es schlechter gegenüber 1938, da die Bezirksstadt, jetzt Rokitnitz, 40 km, die Kreisstadt sogar 80 km entfernt waren. Es bestand zwar eine direkte Busverbindung dahin, doch in den Wintermonaten musste man mit der Bahn von Hummelstadt über die beiden Kreisstädte Glatz und Habelschwerdt zur eigenen Kreisstadt fahren. Aus diesem Grunde versuchte die Gemeinde den Anschluss an den Altreichkreis Glatz zu erreichen. Diesem Ansuchen widersetzte sich der Landrat in Grulich, und es wurden von Seiten des Gerichtes in Rokitnitz und des Landratsamtes Grulich für Gießhübel und Umgebung Sprechtage in Gießhübel eingerichtet.

Die Bahnverbindung wurde jetzt günstiger, da der Anmarsch zum Bahnhof jetzt nur 6 km, gegenüber früher 18 km, betrug. Auch die postalische Betreuung verbesserte sich wesentlich. Der Turn-, Gesang- und Feuerwehrverein wurde in die bestehenden Reichsverbände überführt. Einen besonderen Aufschwung erlebte der Fremdenverkehr. Es gab Tage, an denen der große Marktplatz sich zu klein für die vielen Autos aus dem Altreich erwies. Sämtliche Gast- und privaten Fremdenzimmer waren besetzt. K.d.F. - „Kraft durch Freude-Reisende" überfüllten den Ort. Im Schulwesen wurden wieder 4 Volksschulklassen in der ehemaligen tschechischen Volksschule errichtet, und die Bürgerschule wurde in eine 4 klassige Hauptschule umgewandelt.

Eine Behinderung des kirchlichen Lebens fand nicht statt. Man konnte bei dem sonntäglichen Gottesdienst S.A. Männer und HJ in voller Uniform beobachten. Offene Kritik an den Maßnahmen der N.S.D.A.P. wurden nicht laut, im Gegenteil lebten die Menschen nach 20-jähriger nationaler Knechtung und kargem Leben richtig auf. Es gab jetzt Arbeit und größeren Verdienst. Die früheren sogenannten Ortsarmen , die in 2 Gemeindehäusern wohnten und ihren kargen Lebensunterhalt durch Betteln bestreiten mussten, erhielten jetzt ihre monatliche Unterstützung. Auch die N.S.V. (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) trat hier zur Linderung der Not der Bevölkerung durch Verteilen von Lebensmitteln und Bekleidung auf den Plan. Die in der Heimat verbliebenen Tschechen wurden in keiner Weise in ihrem Leben behindert. Juden gab es in Gießhübel keine.

Am 15. März 1939 durchzogen deutsche Truppen in großer Stärke den Ort und marschierten in der Resttschechei ein. Da im Westen unsere Gemeinde an das neu errichtete Protektorat Böhmen grenzte, wurde hier ein Zollkommissariat und eine Zollstelle errichtet. Im Verlaufe des Krieges wurde aus der Zollstelle ein Grenzpolizeiposten.

Infolge der ständig erfolgenden Einberufungen zur Wehrmacht stellte sich Arbeitermangel ein. Durch Nachbarschaftshilfe und Fremdarbeiter, auch einige Tschechen aus dem Protektorat waren darunter, wurde hier einigermaßen Abhilfe geschaffen. Im allgemeinen genossen die fremden Arbeitskräfte eine gute Behandlung. Volksdeutsche Umsiedler kamen nicht in den Ort.

Als die Bombardierung der Industriestädte des Altreiches immer größere Formen annahm, mussten auch hier Evakuierte untergebracht werden. Für gegen 50 Personen aus dem Ruhrgebiet musste Wohnung beschafft werden. Das Verhalten dieser Ausgebombten war manchmal nicht ganz dem dörflichen Charakter der Gemeinde angepasst, sie kamen doch aus der Großstadt. Die Bevölkerung hatte sie freudig aufgenommen, denn ein Teil der Ortsbewohner gedachte der Herbsttage 1938, wo auch er als Flüchtling im Altreich Gastrecht genossen hatte.

Industrieverlegung aus dem Altreich nach hier wurde nicht vorgenommen, und Zwangsarbeiterlager wurden keine errichtet. Luftangriffe auf unseren Ort fanden keine statt, jedoch wurden einzelne Zivilisten auf den Feldern bei der Arbeit durch feindliche Flieger beschossen, ohne dass Verluste oder Verwundungen eintraten.

In den letzten Tagen des Krieges hoben tschechische Partisanen den Polizei-Grenzposten an der Protektoratsgrenze aus und verjagten ihn. Kurz darauf stürmte eine deutsche SS-Patrouille den Stützpunkt der Partisanen und machte dieselben zu Gefangenen. Die Bevölkerung trat den Aktionen der Partisanen durch Aufstellung des Volkssturmes entgegen. Von Seiten der deutschen Bevölkerung erhielten die Partisanen keinerlei Unterstützung.

Mit dem Einmarsch der Russen am 10. Mai 1945 begannen Plünderungen und Vergewaltigungen der Frauen. Auch der tschechische Pöbel, der aus dem angrenzenden Sprachgebiet einströmte, beteiligte sich daran. Die ersten Verhaftungen liefen an. Der Förster Rasel wurde derart von der tschechischen Soldateska misshandelt, dass ihm das Blut aus den Schuhen lief. Man errichtete am Ringplatz einen Galgen, um ihn zu hängen. Rasel zuckte mit keiner Wimper und wurde kurze Zeit später im Walde erschossen. Der Gastwirt Moschnitschka, Besitzer der weit über die Altreichsgrenze bekannten Baude „Schnappe“ wurde hinter seinem Haus erschossen. Unser katholischer Pfarrer Anton Rührich musste, angetan mit dem Messgewand, auf das man ein großes Hakenkreuz gemalt hatte, den Marsch von über 20 km zu Fuß bis Neustadt, getrieben durch Kolbenschläge, antreten. Einige Tage später wurde er im Peklo-Tal erschlagen und verscharrt.

Dr. Helmut Petsch, Gastwirt Rudolf Hasler, Gerber Anton Veit und Vertreter Franz Seibert sind seit ihrer Verhaftung verschollen. Alle wurden in den Gefängnissen in Neustadt und Königgrätz schwer misshandelt und dürften als tot gelten. Josef Stonner aus Obergießhübel starb infolge erlittener Misshandlung im Gefängnis Josefstadt. Viele Männer, Frauen und Mädchen wurden zur Zwangsarbeit in das Innere Böhmens verschleppt.

Am 1. Juni 1945 wurden die ersten Familien nur mit dem Inhalt eines Rucksackes mit den Worten „heim ins Reich“ über die Grenze nach Schlesien getrieben. Von den ehemals 1287 Einwohnern unseres Städtchens wurden 950 vertrieben, 252 konnten zurückbleiben, doch der größten Teil von ihnen wurde in das tschechische Gebiet umgesiedelt. 77 sind gefallen oder vermisst und 9 fielen dem tschechischen Terror zum Opfer.

Soweit meine Erinnerungen.
Rehburg-Stadt am 9. September 1958

Quelle: Archiv Waldkraiburg