Vom Leiden und Sterben
des Gießhübler Pfarrers Anton Rührich


Pfarrer Anton Rührich

Es war Dienstag, 5. Juni 1945, früh ½ 9 Uhr. Eine Abteilung des tschechischen Militärs meldet sich zur Hausdurchsuchung in der Pfarrei, wie es auch in jedem anderen Hause geschah. Der Pfarrer wird aus der Kirche geholt, wo er Glaubensstunde für die Kinder hielt. Zuerst wird die Pfarrei in allen Räumen, Kästen und Ecken durchstöbert, dann auch die Kirche. Die Durchsuchung währt den ganzen Vormittag.

Ergebnis: Der Pfarrer wird abgeführt; den Nachmittag verbringt er mit einigen anderen Zivilisten im Notarrest.

Was legte man ihm zur Last? Was fand man bei ihm vor?

In der Kirche fand man zwei Fotoalben mit Bildern aus dem Osten, darunter stand geschrieben: "Mein Bruder", "mein Cousin" usw. Die beiden Alben gehörten einem deutschen Soldaten, die der Kirchendiener in der Kirche ohne Wissen des Pfarrers versteckte. Letzteren machte man aber dafür verantwortlich.

Der Befehlsoffizier äußerte sich gegenüber der Haushälterin, dass sie auch zwei Granaten fanden. Er erwähnte dabei nicht, wo er sie fand. Das Vorhandensein wäre allerdings nicht ausgeschlossen gewesen, nachdem in den vorausgegangenen Wochen zurückflutendes deutsches Militär dort genächtigt hat und überall Patronen, Granaten u. a. wegwarf und zurückließ. Dass man bei den Aufräumungsarbeiten vielleicht die eine oder andere Patrone nicht gleich entdeckte, kann die Hauseigentümer doch keine Schuld treffen.

Von den tschechischen Soldaten wurden noch andere unkontrollierte Gerüchte ausgestreut, z. B. man hätte in der Kirche eine Kiste Granaten gefunden.  Die Kirche wurde gesperrt, auch alle Räumlichkeiten in der Pfarrei, außer der Küche. Bei Gottesdienst und Funktionen musste der Kirchenschlüssel beim "vybor" geholt werden. In den abgeschlossenen Zimmern lag alles durcheinander. Erst später konnte das Fehlen verschiedener Sachen festgestellt werden. An Bargeld wurden etwa
RM 25 000 "beschlagnahmt", wie der "vybor" zugab. Ob es sich hierbei um Privat- oder Kirchenvermögen handelte, wurde nicht gefragt. Der Keller war durchwühlt und der gesamte Messwein verschwunden.

Das Abendessen am Dienstag, sowie das Mittagessen am Mittwoch durfte dem Pfarrer von einer Pfarreiangestellten gebracht werden. Am Mittwochnachmittag wurden die Gefangenen aufgestellt und unter starker Bewachung bei größter Hitze in die Bezirksstadt Neustadt, die 15 km entfernt liegt, getrieben. Dass die Deutschen dabei verhöhnt wurden, ist klar. Pfarrer Rührich musste die Alben vor das Gesicht haltend tragen, während auf seinem Rücken ein großes Hakenkreuz gemalt war.

Über die Behandlung in Neustadt ist nicht viel bekannt. Eine Woche später, an seinem Namenstag, besuchte ihn die Pfarrangestellte, Fräulein Dörner. Fünf Minuten durfte sie mit ihm sprechen und etwas Essen reichen. Der Pfarrer bat um eine Decke für die Nacht. In der folgenden Nacht wurde er nach Peklo gebracht (Peklo ist das Mettautal, das einsam zwischen bewaldeten Bergen von Nachod nach Neustadt sich zieht), angeblich, um nicht mit den anderen Gefangenen beisammen sein zu können. Er wohnte in einem Gasthaus und musste helfen Holz machen. In Gießhübel war zunächst nur bekannt, dass er nicht mehr in Neustadt sei. Am Samstag, 16. Juni, saß der Pfarrer abends in der Gasttube, als gegen 10 Uhr zwei Soldaten kamen und ihn aufforderten, mitzukommen.

Bald darauf hörten die Wirtsleute einen Schuss – der Pfarrer kehre nicht wieder. Was war geschehen? Ein Erschießungsbefehl lag ohne Zweifel vor, da auch kein Verhör vorausging. Einer der Soldaten rühmte sich nachher, einen "Schwarzen" erledigt zu haben. Der Tote wurde im Walde eingescharrt. Um den Schein des Rechts zu wahren, hieß es, er habe einen Fluchtversuch machen wollen. Diese Angabe wurde auch auf dem Totenschein vermerkt, den man zögernd nach einem Jahr ausfertigte.

Eine Möglichkeit, ihn zu befreien, gab es nicht, da die Verhaftungsgründe nicht bekannt gegeben wurden. Die "lidova strana" und das Dekansamt Neustadt glaubten natürlich anfänglich den Gerüchten und an seine Schuld. Viel später erst kam man zur Einsicht, dass Pfarrer Rührich unschuldig war.

Eine kleine Wiedergutmachung des Unrechts mag man darin sehen, dass Pfarrer Rührich im Februar 1947, also nach 20 Monaten, ausgegraben und in geweihter Erde auf dem zuständigen Friedhof in Slavonov beigesetzt wurde. Die Leiche war kaum verwest und soll noch gut erkennbar gewesen sein.
 

Fundstelle: Festschrift Priesterjubiläumsfeier 1950,
Institut für Kirchengeschichte Böhmen – Mähren – Schlesien
Erschienen auch im Heimatkalender "Trostbärnla"1985, Seite 36 f.


 Anton Rührich wurde am 17. 4. 1903 in Hermannseifen im Riesengebirge geboren, am 26. 6. 1928 in Königgrätz zum Priester geweiht und war von Oktober 1934 bis zum Kriegsende 1945 als Pfarrer in Gießhübel tätig.

Seine Grabstelle auf dem Friedhof in Slavonov wird bis heute von Gläubigen gepflegt. Sie trug zunächst nur ein schlichtes Kreuz mit der Nr. 319. Später wurde das Kreuz mehrmals erneuert, das Grab wurde eingefasst. Kurz nach der Wende im Jahre 1989 wurde der Stamm des Kreuzes verlängert und daran eine Metalltafel mit dem Namen und den Daten des Pfarrers angebracht, sie ist allerdings  auch schon wieder verwittert.

Das Grab von Pfarrer Rührich
an der Mauer des Friedhofs in Slavonov

An der Außenmauer der Kirche in Gießhübel, links neben dem Seiteneingang, befindet sich eine kleine Marmortafel zu seinem Gedenken. Sie wurde gestiftet und - während des 4. Heimattreffens in Gießhübel -  von dem damaligen Königgrätzer Bischof Otcenasek am 3 9.1997 eingesegnet. An den Feierlichkeiten nahmen etwa 100 Besucher des Treffens aus Deutschland teil. Den Gottesdienst in der festlich geschmückten Kirche begleitete eine Kindergruppe der tschechischen Schule mit kleinen gesanglichen Einlagen.

Thea Frank