Wie ich Deutsch gelernt habe

Eine Erinnerung an die Jahre 1934-35 in Gießhübel

Vladimir Kulda

Meine (tsch.) Mutter war 18 Jahre lang im Dienste bei deutschen Familien. Dort hat sie auch deutsch gelernt. Erst im Jahre 1918 ist sie von Innsbruck heimgekommen. Wenn ich als kleiner Knabe nicht einschlafen konnte, hat sie mir, anstatt Märchen, über die Alpenländer erzählt. Ich wusste nicht wo Prag liegt, aber es waren mir die Namen der Städte Mariazell, Salzburg, Bruck, Klagenfurt bekannt. Zum Ende sagte sie immer: Du musst auch Deutsch lernen – mit der deutschen Sprache kannst Du in die ganze Welt gehen.

Unweit von Nachod waren bis zum Jahre 1946 an allen Seiten die Gebiete, wo die Deutschen siedelten, im Norden gibt es das Riesengebirge, im Westen liegt der Braunauer Talkessel und im Süden zieht sich das Adlergebirge. Wohin mich aber schicken "auf den Tausch", wie man damals sagte! Da ergab sich die Möglichkeit, mich in eine Familie eines Kaufmanns und Bäckers in Gießhübel zu schicken. An einem Sonntag im August sind wir also mit einem Bus nach Gießhübel gefahren.

Am Ringplatz (oder: im Staadtla, wie man hier sagte)), waren wir gerade zu Mittag. Die Mutter hat mich in das Märsenger-Gasthaus geführt. Während des Essens hat sie nach der Familie Scheftner gefragt und erfahren, was sie wissen wollte. Sie war deutlich mit den erfahrenen Informationen zufrieden: Mein Schicksal und Scheftner Erhards Schicksal waren besiegelt! Mit den Worten: "Mach mir nicht eine Schande!", sind wir zwei Häuser weiter nebenan gegangen. Also, das war der Anfang.

Und in der Schule? Die ersten Tage bin ich nur still gesessen und habe zugehört. Dann, eines Tages, es näherte sich zum Vierteljahr, kam auch das Prüfen. Herr Lehrer Knoblich hat mich in der Naturlehre aufgerufen und gab mir die Frage: "Was frisst der Elefant?" Meine Antwort war rasch: "Der Elefant frisst Zwerge und Laube". Die ganze Klasse lächelte, einer lauter, der andere stiller. Der Lehrer hat sich schnell das Taschentuch hervorgezogen und legte es zum Mund. Er hatte auf einmal ein bisschen Husten. Dann hat er gesagt: "Ja, Du hast gelernt, aber richtig soll es sein: Der Elefant frisst Laub und Zweige – das ist ein ganz kleiner Unterschied".

Und das Prüfen ging weiter. Geschichte lehrte Herr Sebastian Schindler. Auch er erkannte, dass ich gelernt habe, obzwar ich deklamierte: "Vater, Vater, gib mir meine Legionen wieder (anstatt Varus, Varus, gib ...). In dem zweiten Jahrgang war es schon besser. Ich habe schon vieles verstanden. Nur in die Schule war es weit, denn ich wohnte jetzt in Untergießhübel bei der Familie Wondrejz (Schulnaatz).

Als ich dann in die dritte Klasse der Bürgerschule in Nachod zurückkehrte, meinte mancher Mitschüler, dass ich ein Deutscher bin. Die tschechische Sprache machte mir Schwierigkeiten. Meine Mutter war aber zufrieden. Und ich auch – aber erst viele, viele Jahre später, als ich erkannt habe, dass die deutsche Sprache mir den Weg zu den deutschen Alpinisten öffnete, sogar bis zu dem Idol unserer Jugend – zu meinem großen Freund Luis Trenker aus Bozen.

Der Tausch war aber nicht nur gut zum Lernen der deutschen Sprache. Der junge Mensch, der auf einmal außerhalb seiner Familie leben musste, wurde selbständiger, musste mit Geld rechnen und haushalten Und zuletzt entstand zwischen den jungen Leutender verschiedenen Nationen Freundschaft. Unsere Generation hatte aber Pech, dass der 2. Weltkrieg und alles, was danach folgte, auf 45 Jahre den gewohnten Kontakt unterbrach. Viele Mitschüler sind gefallen, die Übriggebliebenen wurden von uns vertrieben, manche sogar hinter den "eisernen Vorhang". Und das Suchen nach Schulkameraden in halb Europa war sehr schwer.

Jetzt habe ich in Erfahrung gebracht, dass das Nachoder Gymnasium im Kontakt mit einer ähnlichen Schule bei Osnabrück (Gymnasium in Georgsmarienhütte-Oesede) ist. Die Jugendlichen kommen auf Tausch, aber nur für eine Woche im Jahr. Es ist wenig – aber doch gibt es hier einen Anfang der Fortsetzung von etwas, was hier schon einmal vor vielen, vielen Jahren, wenn auch in einer anderen Form war. Ich wünsche den Jungen und Mädchen, die von der BRD zu uns kommen, dass es ihnen bei uns so gut geht, wie mir vor 60 Jahren in Gießhübel im Adlergebirge! 


Aus: "Mei Heemt" Juni 1993 / Seite 167 f


Noch immer kommen jährlich seither 30 – 40 tschechische Schüler nach Georgsmarienhütte - Oesede und ebenso viele deutsche Schüler nach Nachod. Sie leben kostenlos in Familien des jeweiligen Nachbarlandes. Auch Jahresgastschülern wird auf diese Weise ein Studium im jeweils anderen Land ermöglicht. Es haben sich Freundschaften zwischen den Jugendlichen, aber auch unter den einzelnen Familien in Deutschland und in der Tschechischen Republik entwickelt. Am 19. 3. 1999 wurden diese Beziehungen durch einen Freundschaftsvertrag zwischen den beiden Gymnasien in einem feierlichen Akt besiegelt.

T.F.