Günther Grimm an seinen um acht Jahre jüngeren Bruder
Konrad
(in Anlehnung an den bayerischen
Volksdichter Ludwig Thoma)
Mein liber Schbezi,
.......
Und wie das alles angefangen hat mit Dir und mir
oder umgekehrt
indem daß nämlich der Grimm
Becka Pepp ausm Puschdärfla
-unser
Vater
die Teuners Thilde vom Ober-Gießhübel
-unsere
Mutter
zur Frau genommen hat
im Saal von dem Gasthof „Hohe Mense“
in Gießhübel;
Und waren in unserer Nachbarschaft Familien mit
etlichen Kindern
beim Pohner drei, beim
Schuster sechs und beim Schkop fünf
überall Jungen und Mädchen, immer gemischt und in
jeder Größe
indem dass bei denen halt immer was los war
und wo ich mich gerne aufgehalten habe
oder durchbrennen musste über die Lehne hinterm Haus
wenn ich grad mal Hausarrest hatte
weil dass ich sonst oft allein zu Hause war
mit dem Max, was ein Kater war, oder mit den
Kaninchen;
Und hatte ich mir deshalb was Geschwisterliches
gewünscht
bei Papas Tante, der „Polizistin“, die wo Kendlababe war in Gießhübel
und fest bestellt hatte ich es
aber halt nur und auf jeden Fall ein Schwesterchen
hatte ich ihr gesagt;
Und ist das aber total schief gelaufen
weil daß ich grad mal nicht
zu Hause gewesen bin
sondern bei meinem Onkel Konrad geschlafen habe
mit dem dass sie das Mädchen zu der Prella-Zeunern gebracht hat
aber uns halt nur der Junge geblieben ist
und noch dazu
- so was Winziges
es war zum Heulen
wohl zum Trost hat mir die Mama gesagt
dass ich ja grad mit einem Jungen schön spielen
könnte
worauf ich geantwortet haben soll:
„Bis ich mit dam Kalle spiela
konn
bin ich a aler Mon!“
Und so haben wir ihn dann aber doch behalten und
getauft
mitten im Winter und bei viel Schnee
indem dass sich das mit der winzigen Größe ja langsam
gebessert hat;
Und hätte es mit einem Schwesterchen vielleicht eh
bloß Ärger gegeben
was mir ja die Freude an Mädchen schon frühzeitig
verdorben hätte
und wäre es mir später vielleicht eh weggeheiratet
worden;
Und mußte der Papa
einrücken zum Militär
wohl Ende 41
danach sind kurz
hintereinander die Teuner-Großmutter
und der Grimm-Großvater gestorben
wo ich mich erinnere
dass Mama jedes Mal ein Telegramm geschickt hat
damit der Papa zu den Beerdigungen kommen konnte
weil es ein Telefon vielleicht nur bei der Post
gegeben hat
eim Staatla
und Mail-Box, E-Mail, Handy, Fax und SMS
überhaupt noch keiner nicht erfunden hatte
Autos fuhren äußerst selten
meistens nur mit Holzvergaser unterm Krieg
was aber arg gestunken hat
und wenn ein Aeroplan zu hören war, ganz selten
dann sind wir rausgerannt zum Gucken
aber ein großer gelber Omnibus von der Post
die „Glatzer Rose“
kam jeden Tag auf den Ringplatz;
Und hat am Ende Mai 42
du warst schon beinah eineinhalb
Jkahre alt
der Papa zum erstenmal Urlaub bekommen
weil daß er in Uniform
steht auf dem alten Foto
die Mama Trauer trägt
und Du mit Frisur und Stoff-Karnickel
auf ihrem Schoß sitzt
indem dass ich wohl Knickebocker
anhab
und eine frische Kohlrübenfrisur vom Teuner-Großvater
aber ich nicht weiß
wo wer dieses Foto aufgenommen hat.
Und hatte unser Vater in den dreißiger Jahren
bei einem Arbeitsunfall
die Sehkraft eines Auges verloren
indem daß er deswegen nicht
an die Front mußte
sondern als Soldat in einem Kraftfahrzeug eingesetzt
war
vielleicht kaputte Autos flicken
oder ihre Sitze
zuerst in Jägerndorf
und später dann in Pilsen
wo er mir einmal eine schöne Aktentasche gemacht hat
indem das sie noch viele Jahre gehalten hat
als Schultasche;
Und waren unter den Landsern
ganz verschiedene Handwerker vertreten
auch ein Schreiner war dabei
der was einen wunderschönen großen Dackel gemacht hat
aus dickem Sperrholz und auf Rädern
schön bemalt und sogar beweglich
weil dass er nicht nur mit dem Schwanz wedeln konnte
indem dass ihn Dir das Christkind zu Weihnachten
geschenkt hat
dreiundvierzig oder vierundvierzig war es, unterm
Krieg
wo Du schon halbwegs laufen konntest
und mitsamt dem Dackel bei dem Häuflein Kinder
„aus’m Tampl“, aus der Nachbarschaft
mit dabeistehst
schon ganz schön selbstsicher, weil Du ja dazugehört
hast;
Und warst Du aber beim Schneeballschmeißen noch nicht
dabei
wie auf dem winterlichen Foto zu sehen ist
wo der Papa die Stämme der jungen Obstbäume
mit Reisig eingepackt hatte, um sie zu schützen
denn Schnee und Kälte gab es genug bei uns daheim
wo Du es aber dafür einfacher hattest
wenn dass vielleicht doch einmal wo eine
Fensterscheibe
kaputt gegangen war oder gleich mehrere
indem Du es ja ganz bestimmt nicht gewesen sein
konntest
weil Du deshalb fein raus warst
aber hast Du auch niemals nicht erfahren
wie gut die Kirschen auf dem Baum vom Tschernia Tonsche
(Tscherny Anton) geschmeckt
haben
und hast Du auch nie lernen können
warum bei ihm an einem Sonntag
Abend
im ganzen Haus das Licht ausgegangen ist
bloß weil der Adolf und ich
am Wehr das Wasser umgeleitet hatten
und das Wasserrad stehen geblieben ist, ganz langsam
und die Lichtmaschine auch;
aber waren für uns die Zeiten im Krieg nicht nur
immer lustig
weil halt der Papa nicht da und der Onkel Alfred
gefallen war
bis eines Tages, Anfang Mai 45, deutsche Soldaten
durch das Dorf zogen
ausgemergelt, und dankbar für Zivilkleidung, auch vom
Papa
weil sie auf der Flucht waren, vor den Russen
die dann später kamen, aber zu uns Kindern recht
freundlich waren
und schließlich waren lauter Tschechen da
die dann den Papa gefangen genommen haben
nachdem er sechs Wochen lang heimwärts getippelt war
mit anderen Landsern, von Weiden aus
und war erst in der Volksschule in Gießhübel
dann in der Kaserne in Dobruschka
und schließlich über ein Jahr beim Müller in Tynischte
(der vor dem Krieg Mehl geliefert hatte, in die
Bäckerei Grimm)
auch eine Art Zwangsarbeit;
Und hat die Mama beim Tschechen weben gemußt
weil wir ja etwas zum Leben gebraucht haben
die deutschen Besitzer der kleinen Webereien hatten
sie zuerst vertrieben
ebenso wie viele Nachbarn und Verwandte
wo ich viel Zeit hatte über ein Jahr lang
und keine Schule nicht, weil ich Deutscher war
mitdem dasss ich auf Dich, lieber Schbezi,
aufpassen konnte
falls mich nicht grad ein Russe geholt hat zum Kühe
hüten
oder zwei tschechische Polizisten zu einem Verhör
mit dem Adolf zusammen
weil ich Dich dann zum Tinla-Schuster
gebracht habe
die hatten ja eh schon sechs;
Und als die Mama aus dem Krankenhaus Opotschno heimgekommen ist
sie hatte Typhus gehabt
und der Papa entlassen worden war
im Herbst 46
hat uns die tschechische Polizei vertrieben,
binnen zwei Stunden
zum Arbeiten auf einem Bauernhof in Nahorschany
bis zur endgültigen Vertreibung nach vier Wochen
Richtung Westen
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