Überraschender Besuch

Brigitte Siepmann

 

Mit den Flocken senkt sich der frühe Dezemberabend über den Ringplatz. An den hölzernen Doppelfenstern im Obergeschoß der Pfarre von Gießhübel hocken zwei Mädchen von fünf und acht Jahren und hauchen Löcher auf die Scheiben. War da nicht ein Schellengeläut vernehmbar? Angespannt lauschen sie hinaus in die Finsternis des Nikolausabends 1944. Würde der Nikolaus auch zu ihnen, den Evakuierten, ins Pfarrhaus finden? Die Mutter meinte, eher nein.

Man lebte hier nun schon seit geraumer Zeit, und die Kinder fühlten sich heimisch. In der 3. Klasse der Volksschule hatten die Mitschüler mit Respekt von St. Nikolaus gesprochen, mehr aber noch fürchteten sie seinen unheimlichen Gesellen, den Krampus. Vielleicht war es so gesehen besser, wenn gar keiner kam, zumal Erinnerung an Nikolaus in der fernen Heimat aufkam. Jener hatte keinen Zweifel aufkommen lassen, dass er böse Kinder mitnähme, wovon zwei aus seinem Sack baumelnde, bestrumpfte Beine mit Schuhwerk, das ihnen irgendwie bekannt vorkam, schauerlich Zeugnis gaben. Aber, wenn er heute vielleicht eine Süßigkeit für sie hätte? Am besten, er lieferte sie beim Fräulein unten ab und trollte sich. Fräulein Kuhn, die umsichtige und von den Kindern geliebte Haushälterin des Pfarrers, würde es schon besorgen.

Ihr „wenn" und „vielleicht" wurde jäh unterbrochen. Etwas hatte den Glockenzug mit dem Griff an der langen Stange an der Außentür wie wild in Bewegung versetzt. Und dann stürmte und polterte es die hölzerne Stiege herauf, dass die Kinder näher an die Mutter drängten. Die Tür flog auf. Im Rahmen stand St. Nikolaus. Neben ihm drängte behende, kettenrasselnd, ein geschwänzter, schwarzer Geselle in den Raum und gebärdete sich wie toll. Das war er, der gefürchtete Krampus. Ein Blick des Heiligen aber machte ihn augenblicklich still.

St. Nikolaus schlug ein dickes Buch auf und wandte sich den Kindern zu. Denen flatterten die auswendig gelernten Verse von den bebenden Lippen. St. Nikolaus schien’s zufrieden. Er langte in einen großen Sack, den der Schwarze hielt und überreichte den Kindern zwei allerliebste, geschnitzte Holzvögel, die auf einem Sockel wippten. Das Buch klappte er zu. Kein Tadel, kein Verweis, kein Rutenstreich, die Kinder waren in diesem letzten Kriegsjahr anscheinend sehr brav gewesen. Bevor sie, nun mutiger geworden, etwas mehr vom heiligen Mann und dem Unheimlichen zu erhaschen suchten, stob‘s, wie‘s gekommen war, rasselnd und rumpelnd die Stufen hinab.

Zurück ließ es Kinderseligkeit mit wippenden, hölzernen Geschenken auf den Fensterbrettern. Die Vorfreude auf Weihnachten – wozu werkeln, malen und für den Auftritt zur Weihnachtsfeier im Hotel Jirku zu üben war - aber wuchs.