Eigenartiger Lebensweg

Aus: "25 Jahre Bürgerschule", Jubiläumsschrift von 1930

In der Reihe der der Schüler der Bürgerschule Gießhübel weist unstreitig den eigenartigsten Lebensweg Herr Josef Wondrejz, Gymnasialprofessor in Cali, Süd-Amerika, auf.
Als Kind ehrenwerter Leute am 3. März 1897 geboren, lernte er nach dem Besuch der Bürgerschule das Schuhmacherhandwerk. Als Lehrling und auch als Gehilfe arbeitete er stets nur in Deutschland. Der Weltkrieg verschonte auch ihn nicht. Beim Konsulat in München für tauglich befunden, rückte er zum 2. Jägerbatallion ein. Er kämpfte an der italienischen Front. In der 10. Isonzoschlacht wurde er schwer verwundet, so dass er zu 60 % erwerbsunfähig blieb. Weil er erkannte, dass er fortan durch körperliche Arbeit seinen Lebensunterhalt nicht erwerben könne, besuchte er während seines Aufenthaltes im Krüppelheim in Reichenberg mehrere Kurse zur Erlernung fremder Sprachen. Durch Staatsbeitrag wurde ihm auch der Besuch der Handelsschule in Teplitz-Schönau ermöglicht. Später betätigte er sich als Masseur im Franz-Josefs-Bade in Reichenberg und konnte sich hier so manchen Sparpfennig zurücklegen. Im Jahre 1925 verließ er Reichenberg und begab sich auf Wanderschaft. Er reiste über Karlsbad, Eisenstein, Linz, Graz, Klagenfurt nach Italien. Hier besuchte er Venedig, Florenz, Rom und Neapel. Über Genua begab er sich nach Paris, von hier über die Pyrenäen nach Barcelona, woselbst er den Winter über verweilte und Spanisch lernte, dann nach Sevilla und Cadix. Hervorgehoben wird, dass er fast die ganze Strecke zu Fuß zurücklegte.

Als ihm von Cadix aus die Einschiffung nach Amerika nicht gelang, reiste er über San Sebastian und Paris nach Antwerpen und fuhr als "blinder Passagier" auf dem Dampfer "Vido" in die Neue Welt. Nach der fahrt durch den Panama-Kanal betrat er in Buenaventura an der Westküste Süd-Amerikas das Festland und wanderte von hier ebenfalls zu Fuß über die Anden nach Cali in der Republik Kolumbia. Der etwa 170 km weite Weg dahin führte teilweise durch Urwald, woselbst der Wagemutige oft die Bekanntschaft reinrassiger Indianer machte. In den Berichten an seine Eltern rühmt er deren Gastfreundlichkeit. Dagegen schreckte der Anblick so manch anderer Bewohner des Urwaldes den kühnen Wanderer: Jaguar, Riesenschlange u. ä. In Cali fand er bald einen Arbeitsplatz im Hotel Germania. Jederzeit aber war er auf die Vervollkommnung seiner Sprachkenntnisse bedacht. Da er nun sechs Sprachen beherrschte, wurde er bald ein gesuchter Lehrer für privaten Unterricht in fremden Sprachen. Sein guter Ruf trug ihm im Jahre 1927 die Anstellung als Professor am "Colegio de Santa Librado" ein, einer Schulanstalt, unseren Gymnasien vergleichbar. An dieser Anstalt unterrichtet der Genannte derzeit Französisch und Geographie und bezieht eine monatliche Entlohnung von 250 Dollar.

Cali ist die frühere Hauptstadt der Provinz, liegt ungefähr 1000 m über dem Meere und ist ein wichtiger Handelsplatz für überseeische Waren, welche über den Hafen Buenaventura eingeführt werden. Das oben erwähnte Colegio de Santa Librado befindet sich in einem ehemaligen Franziskanerkloster und ist ein Pensionat.

Unser ehemaliger Schüler Wondrejz hat gewiss einen seltenen Lebensweg aufzuweisen. Er beweist aber, dass der Mensch durch Beharrlichkeit und unermüdliche Ausbildung und Vertiefung seiner Kenntnisse sowie tatkräftige Überwindung aller Hemmnisse emporkommt.

Möge unserem Heimatgenossen in der Fremde auch fernerhin der Stern des Glückes hold sein!

T.F.