Wie die "Wölfei" zu ihrem Namen kam

Kirmes ist es, und in der "Krone" zu Gießhübel geht es lustig zu. Abseits von der fröhlichen Jugend sitzen der weißbärtige Grabenflorian und der Geiger Hannes. Letzterem hat Lene, die Wirtstochter, schon ein Krüglein zu viel eingeschenkt, und es ist mit ihm nicht mehr zu reden.

Doch gutmütig legt der Florian seine Rechte auf die Schulter des Geigers und meint: "Du, Hannes, 's werd finster. Gieh liewer hääm! Erscht gestan hot der Herr 'n Wolf gesahn on viergestan glei zweje, se sella etze aus 'm Posche komma, 's werd schon kaalt, on 's gieht uf a Wenter zu".

"Du aales Schreckdeng, Du wärscht gutt, doß ma Dich ei a Krautfeld stella tät!", ereiferte sich Hannes. "West 's 'n nee, i –ie –i – ich ho doch schon fer de Thresla gechen die Preißscha gekämpft, on mich ne ock grode mit am Wolfe remgeschlän! Wenn 's druuf okemmt, a sella Luder, dos derschloo ich mit 'm Fiedelboocha! Do!", damit hieb er einen Zwanziger auf den Tisch, dass er weiterkollerte und zu Boden fiel. "Do, Lene, noch 'n Schoppa! On g r o d e gieh ich nee häm!"

Der Graberflorian aber nahm seinen Schafspelz von der Wand, und mit einem mürrischen "Ei Goots Noma!" verließ er die Gaststube.

Hannes aber blieb, bis die alte Schwarzwälder Uhr die elfte Stunde verkündete. Draußen stand der Mond als helle Scheibe am Himmel und leuchtete dem einsamen nächtlichen Wanderer auf dem Wege. Beim Hammerhofe bellte heiser ein Hund. Schweigend hatte der Geiger schon ein Stück des Waldweges zurückgelegt. Er hörte auf das Rauschen und Plätschern des Waldbaches und auf das Raunen des Windes in den Baumkronen. Gespenstisch glitt ein Nachtvogel vorbei und Hannes bekreuzigte sich dreimal. "Jesses, Marja 'nd Josef!" murmelte der Geiger, denn er hatte aus dem Dickicht jenseits des Bachufers ein schauriges Geheul vernommen. Jetzt erst erinnerte sich Hannes der Reden des Graberflorian, und es lief ihm eiskalt über den Rücken. Da verstummte das Geheul, und er schlich ängstlich weiter.

Da – ein Ast knackte, Fichtenreiser brachen – und das Geigerlein lag in einer vom Jäger hergestellten Fanggrube. Im ersten Augenblick rief er alle vierzehn Nothelfer an, dann aber gewahrte er zu seinem größten Schrecken zwei grünlich funkelnde, gierige Augen und hörte ein aus der Ecke kommendes Knurren. Er rief um Hilfe und wusste sie doch so weit. Wo hatte er seine lange Reiterpistole? Ja, ja, er hatte sie daheim gelassen, weil ihn Anna, sein Weib, darum gebeten hatte. Jetzt war er allein, allein mit einem Wolfe, wie er erkannt hatte.

Da – blitzschnell fuhr ihm ein rettender Gedanke durch den Kopf! Der Spitzel zu Hause hatte immer geheult und war davongerannt, wenn er gegeigt hatte. Vielleicht machte es dieses Untier auch so und blieb ihm vom Leibe. Gleich zog er seine Fiedel aus dem Ledersacke und spielte ein Tanzliedchen. Und siehe da! Der Wolf klemmte seinen Schwanz zwischen die Beine und stieß ein schauerliches Geheul aus, so dass dem Fiedler große Angstschweißtropfen über die Stirn rannen.

Da – es riss ihm eine Seite! Er hielt im Spiel inne. Als er aber neues Grollen hörte, geigte er weiter.

Droben beim Hegerhaus stand der Heger-Naz und schüttelte ein ums andere Mal sein ergrautes Haupt. "Sellt 'n dos schon a Wolf sein?" meinte er, nahm seinen Kugelstutzen und stapfte in den nächtlichen Forst.

Dem Manne in der Grube schien jede Minute wie eine Ewigkeit. Jetzt hatte er bloß noch eine Saite, und müde war er, dass er den Arm nicht mehr spürte. Im fernen Osten dämmerte es, und in den Ästen schwätzte schläfrig ein Häher. Der Hannes wähnte schon, die letzte Saite summe ihm den Grabgesang. Da hörte er Tritte, und er schrie um Hilfe.

"Olle liewa, guda Geister!" rief der Naz, der den Geiger an seiner Stimme erkannt hatte. "Hannes, best 'n Du neigefolla?"

Kläglich antwortete der Angerufene.

Da legte sich der Heger an der Grubenrand, zielte und schoss den Wolf nieder. Hannes aber hatte weiße Haare bekommen und musste lange das Bett hüten.

Seit diesem Ereignis nannten die Leute den Wald "Wölfei".

Rudolf Knoblich